Anhang 1


Transkription der Wagner-Autographe


So leicht die klare, durchsichtige und kaligraphisch schöne Handschrift Wagners einerseits zu lesen ist, so schwer lassen sich - trotz akribischer Vergleichsbemühungen - andererseits oftmals Details seiner Groß- und Kleinschreibeintentionen deuten und weil an manchen Stellen absolute Sicherheit wohl nur möglich wäre, wenn wir den Verfasser selber fragen könnten, erhebt diese Übertragung - trotz gewissenhafter Deutungsarbeit - keinen Anspruch auf restlose Detailtreue. Stattdessen gibt sie anhand der hier veröffentlichten Originale dem Leser eigene Deutungsräume frei.


Eingekommen d: 7. Febr 1728.


HochEdelgebohrner
HochgeEhrtester Herr.

Randnotiz von anderer Empfängerhand:
Rg. (…) Nach dem Magistrate beliebet, dass er die
Woche vor der Meße anhero kommen soll.
Franco. (…)

Weil Ew. HochEdelgebohrn: an mir ergangenes Schreiben, Mitwoch abents erst eingehändiget worden, habe mit der nägsten post, nachricht geben, wollen, dass ich wegen gehabter unpäßlichkeit, und vorhabenden geschäfften, so gleich nicht woll überkommen könnte, auch die Meßzeit gern mitnehmen wolte, alsdenn in Franckfurt zusein, könnte also meine Überkunfft noch biß dahin außgesetzet sein, ohne Ew. HochEdelgeb: incommodit: währe es guth, sollte es aber eher sein müssen, erwarte nur order darzu, sonst aber bin resolvirt mit Gott! die Woche vor der Meße, in denen letzten Tagen in Franckfurt zu sein, oder wenn Ew.HochEdelgeb.mir beliebigen Termin setzen wolten, bin jederzeit bereit, nach meiner wenigkeit zu dienen, es sey vor, in oder nach der Meße. dafern aber nicht andere Order erhalte, bleibet es dabey, daß ich obgedachtermaßen, außgangs der Woche vor der Meße, so Gott will, gewiß überkomme. Ew. HochEdelgebo: empfehle mich fernern gewogenheit, wie ich mich verbunden achte, vor dero Gütigkeit zuverbleiben

 

Ew. HochEdelgebohren
Meines HochgeEhrtesten Herrn

Berlin

d: 12. Febr

1728.

 

Ergebenster Diener
Wagner.

Auff Ew. HochEd. und Hochgelahrt. Magistrats veranstalte order, habe wegen der befundenen defecta der Orgel in der Ober-Kirche, folgende relation abzustatten.

 

1, Ist das gantze Werck hauptsächlich in der intonation und folglich Stimmung verdorben, also das in allen Stimmen wenig Pfeiffen recht klingen, sondern zum theil halb oder gar nicht ansprechen oder gehört werden, auch verspühret wird, daß zu mancher der Wind gar nicht kommen kan: muß dahero das gantze Werck renovirt, und alle Pfeiffen hirauß genommen, wiederum intonirt, eingestimt und in reiner Harmoni gebracht werden. 2, Die Clavire bleiben öfters hengen, daß das Werck son derlich bey feuchten Wetter leicht heulen muß, fürnehmlich aber, ist die im ober Clavir unnütz angebrachte Coppel schuld daran. nebst diesem auch dieses Clavir sich sehr tieff spielet, weil die abstract: daran gantz schräge hinauff gehet. müßen also die abstract. grade auffgeführet, eine andere und beßere Coppel angeleget, die Clavire gangbar, und mit tüchtigen Federn und Schrauben versehen werden. 3, Sticht der Cornet im Pedal durch, wenn derselbe gleich abgestoßen ist, dennoch in einigen Claves sich jederzeit mit hören läßt, welches bey abnehmung der Pfeiffen mit abgeholffen und vermacht werden muß. 4, Der eine Balg /: ob er schon erst geleimet :/ in der vorderfalte zersprungen ist, vermuthlich die anderen weil selbe gleiche alt sind, auch nicht lange mehr halten möchten, deßfalls alle mit Roßadern verwahret und mit Leder verfestiget werden müssen bey der raparation wo selbe schadhafft sind. 5, Stehet das Werck über einen halben thon zu hoch, also das weder Sänger guth darnach singen kan, noch sonderlich die sonst gewöhnlich eingerichteten instrumenta darzu gebraucht werden können. müste also der Orgel oder denen instrumenten geholffen werden. Würde jenes recht eingerichtet, so ist diesem und dem Sänger mit geholffen. Wenn aber dieses als die zur Kirchen Music nöthigen instrumenta darzu eigen und appart angeschafft würden, gehet woll an, aber der Sänger behält seine incommodite, und die Orgel ihren mit auf der Welt gebrachten großen und wichtigen Mangel und fähler, vornehmlich da viele Pfeiffen darin noch sehr zu gerieben, andere aber, durch eine darübergekommene ungeschickte hand, oben umgebogen, zerstückt und zerbrochen sind, dahero bey ersterer reparation noch eher höher als tieffer im stimmen kömt. Diesem Hauptdefect nun an der Orgel abzuhelffen muß zu jeder stimme 2 Pfeiffen /: aber in denen Mixturen noch mahl so viel als ein Chor hat :/ gemacht werden, nemlich die größte, und wo die subsemith. angehen, als zwischen G(?) und H, als denn das Werck üm einen halben thon tieffer zu stehen komt. Weil aber dieses noch nicht recht genug, und doch große Kosten verursachet, indem über 100 der größten Pfeiffen neu gemacht werden solten, so habe 6, Einen vorschlag thun wollen, mit wenigern Kosten das Werck im rechten thon zu bringen auff folgende arth. Weil die im bey den untersten Mannal und Pedal befindlichen subsemith. mehr zur confusion als nutzen dienen, und doch verursachen, daß wie obgegedacht, deßfals noch in jeder Stimme eine Pfeiffe mehr gemacht werden müste, so können dieselbe ohne bedenken herauß geworffen werden, als denn Pfeiffen genug wegfallen, wodurch die gantze Orgel chormäßig versetzet werden kann, nur muß an denen großen Pfeiffen so viel angesetzet werden, biß an die verworffenen subsemitonia, welche langgenug werden. 7, Die darin jetzo befindlich so genante Vox humana ist nicht in geringsten ähnlichkeit eingerichtet, sonder 1 oder 2 andern Stimmen, wo nicht just, doch ohne unterschied gleichet, ist also weder nöthig noch weniger als eine Vox hum. zu gebrauchen darin. solte aber eine nach der besten arth und ähnlichkeit eingerichteten Voxhumana beliebet werden, müste selbige neu verfärtiget und am besten im Fernwerck zu stehen kommen. anbey aber auch von denen jetzo gedachten 3 gleichlautendenden Stimmen, eine davon zur flöt Truverse emploirt werden kan. 8, Finden sich einige fähler in der Disposition, weil die Stimmen nicht alle auff jedem Clavir stehen, wo sie doch rechtswegen hingehören, oder am besten zugebrauchen sind, sonderlich die Trompet solte im Hauptwerck sein, weil derselben Subsiht.* jederzeit eine egale Labial Stimme, so am schärffsten ist, als hier das Principal 8 Fuß gezogen werden muß, welche aber im Rückpositiv nicht befindlich. Wenn also ohndem alle Pfeiffen herauß genommen werden müßen, kann diese und noch mehr an ders rangirt, und wo möglich an gehörigen rechten Orth versetzet werden, wie unten auß der disposition zu ersehen. 9, Die Registratur ist durchgehents sehr locker und clapperich, also daß mancher Registerzug über einen Zoll gezogen oder gestoßen werden kan, ehe das Register in der Windlade im geringsten beweget wird, solches muß mit neuen stärckeren stifften fester und möglichst im gewißern Zug gebracht werden. 10, Schwancket das Werck durch das Pedal sehr, daß man im Mannal, wenn Pedalirt wird, alle Tritte und stöße mercklich hören und vernehmen kann, welches demselben aber benommen werden soll, wenn es beliebet wird, und alsdenn, kann auch noch eine andere arth Tremulant als jetzo, darin gemacht, und dieser muß auch langsamer und sanffter schlagend geendert werden. (*Unterstützung)

 

Dieses guth und tüchtig zuverfertigen und Einzurichten, komt auffs genauste, wie folget

 

Die 4 ersteren Puncte, welches die allernöthigsten defecta sind, so bey der Reparation unumgänglich corrigirt werden müßen, auff 140 Thlr. Der 5, welches der kostbahrste fähler ist, weil es sonderlich in denen Principalen viele mühe und kosten verursachet, wegen der ungleichen Füße, so bey versetzung der Pfeiffen geändert werden müßen, komt auff und noch über 200 Thlr. Der 6 aber im vorschlag ist, wodurch das Werck in noch beßern stande, als dem 5 punct, gesetzet wird, und die kosten belauffen sich nur auf 90 Thlr. Der 7 und 8, welche von gleicher nothwendigkeit und nützlichkeit sind, komt auf 46 Thlr. biß 50 Thlr. Der 9 und 10, so ebenmäßig von gleicher forte, und nützlichkeit sein, komt auff 20 Thlr., wozu aber einige Bredter zum benöthigten Canalen gereichet werden müsten. 368 Dabey aber außbedungen wird, freien Transport derer Leute und Sachen, anhero und wieder weg. Währender arbeit alhier frey Logiment, Holtz und Kohlen, nebst einen Handlanger oder Calcanten. Durch obgedachte reparation, wird das werck vollenkommener und beßer, als es noch nie gewesen ist, welches auffrichtig versichert und verspricht.

Berlin

d: 24. Febr

1728.

 

Joachim Wagner
Orgelmacher in Berlin.

Disposition, wie die Stimmen nach der reparation sollen anders rangirt in der Orgel befunden werden (Fuß-Schreibweise im Sinne Wagners vereinheitlicht)

1 Im Hauptwerck.     2 Im Rückpositiv.  
Principal 8 fuß   Principal 4 fuß
Qvintadena 16 fuß   Viol d. Gamb. 8 fuß
Salicinal 8 fuß   Flaut daus 8 fuß
Flaut Truvers. 4 fuß   Flöte 4 fuß
Octav 4 fuß   Qvinta 3 fuß
Spitzflöt 4 fuß   Octav 2 fuß
Qvinta 3 fuß   Sesqvialt 2 fach
Octav 2 fuß   Scharff 3 fach
Sesqvialt. 2 fach   Hoboi 8 fuß
Mixtur 5-6 fach   Sing. Regal 4 fuß
Scharff 3 fach      
Trompet 8 fuß      
         
3 Im Fernewerck     4 Im Pedal  
Gemshorn 8 fuß   Principal 16 fuß
Gedackt 8 fuß   Subbaß 16 fuß
Flaut daus 4 fuß   Octav 8 fuß
Naßat Qvint 3 fuß   Qvinta 6 fuß
Octav 2 fuß   Octav 4 fuß
Qvinta 1 1/2 fuß   Mixtur 4 fach
Sup: Octav 1 fuß   Posaune 16 fuß
Cimbel 3 fach   Trompet 8 fuß
Vox humana 8 fuß   Cornet 4 Fuß

Bey dieser Disposition dürfte eben das ober Clavir, als das ferne Werck keine Coppel haben, aber es wird sich vor denen andern sehr außnehmen, und zur veranderung schön zu gebrauchen.

Da die Eingangsprüfnotiz auf den 25. Februar datiert ist und Wagner seine freie Versorgung „alhier“ verlangt, kann das vorstehende Schriftstück (samt Disposition) - trotz der gewohnheitsmäßigen Herkunftsangabe „Berlin“ - nur vor Ort in Frankfurt/Oder verfasst worden sein.


HochEdelgebohrner,
HochgeEhrtester Herr.

Prüf- und Registriernotiz von anderer Hand: Prof. d.
17. Marty 1728 ad. aa. Rg. d. 24. (g.) et 29. May.

Nachdem ich wiederüm glücklich anhero kommen, habe mich denn wegen der Orgel außstaffirung näher erkundiget, und so viel möglich, die sache was gemacht werden soll, beschrieben, von andern aber keinen billiger gefunden, als von welchem hierbey ein eigenhändiger anschlag ergehet, welcher meines erachtens nicht näher möchte gefunden werden, deßwegen auch von andern, so wenigstens jederzeit über ¼ biß ½ mehr sprechen, keinen schriftlichen anschlag gefordert, überdem gemeiniglich diejenigen, so alhier viel zuthun haben, selbst nicht allezeit außwärts mit darbey sein, sondern in berlin die arbeit mit abwarten, und nur außwärts ihre Leute hinschicken, dieser aber, von welchem beyliegender auffsatz ist, bleibet selbst mit darbey, und machet es fertig, kan also vor andern diesen Mann recommendiren. Ew. HochEd.Gebohrn. werden auch hoffentlich volkommen contant damit sein, und erkennen, daß es sehr billig gefo(r)dert. Wenn Er die arbeit selbst sehen möchte, ginge vielleicht noch was ab, doch kan ich nicht wißen wie oder was der Mahler sich vor ein Concept gemacht auß meiner beschreibung, ich weiß aber auch sonst, daß dieser Mann jederzeit billig ist. die verlangten Kupffer sind sonst fertig, aber werden aber noch nicht verkaufft, hoffen selbe alle Tage zubekommen, weshalb ich auch mit diesem schreiben einige Tage darauff gewartet, selbige sollen so bald nur welche habhafft werde, erfolgen. Ew. HochEd.Gebohrn. werden ohnbeschwerth mir nachricht ertheilen laßen, was wegen meiner sache resolvirt, welcher Organist noch die bedienung erhalten, und was wegen der außstaffirung hierauff resolvirt werden möchte. schließlich dancke nochmahls, vor erzeigte güthigkeit, werde mich jederzeit verbunden achten

 

Ew. HochEdelgebohrnen
Meines HochgeEhrtesten Herrn

Berlin

d: 16. Marty

1728.

 

ergebenster Diener
Wagner


 

HochEdelgebohrner,
HochgeEhrtester Herr.

Prüf- und Registriernotiz von anderer Hand: Prof. d. 7. t. April:
1728. Rg. d. 19. May. d. daß es so lang anstehen müße bis der
organist angezogen; sodann categorische antwort erfolgen soll.

Ew. HochEd.Gebohrn. wird mein letzteres schreiben, nebst nebst einen anschlag wegen der Orgel Staffirung, hoffentlich eingehändiget sein, jetzo erfolget nun auch der versprochene Kupfferstich, von der hiesigen Garnison Orgel, nebst einer gedruckten beschreibung, von deßselben Wercks beschaffenheit, mit dem zweiten Kupffer, stelle es in Ew. HochEd. Gebohrn. belieben, einem guthen Freund, nemlich dem Herrn Schwieger Vater, ohnbeschwerth nebst mein Compliment offeriren zulaßen kan mit mehrern dienen, bitte nur nachricht davon zugeben. wenn wegen der Orgel reparation was resolvirt würde, daß es diesen Sommer vor oder nicht vorgenommen werden sollte, erwarte einige nachricht davon, weil mir neulich wieder angetragen worden, diesen Sommer noch ein Stück arbeit vorzunehmen, habe aber solches bißhero außsetzen müßen, zu acceptiren, biß Ew. HochEdelgebohrner mir einige resolution wißen laßen, nebst schuldigster empfehlung verharre

 

Ew. HochEdel Gebohrnen
Meines HochgeEhrtesten Herrn

Berlin

d: 6. April:

1728.

 

ergebenster Diener
Wagner.