Rasante Entwicklungen und neue Impulse


Neuruppin, VEB Frankfurter Orgelbau Sauer, 1984
Neuruppin, VEB Frankfurter Orgelbau Sauer, 1984

Seit der Gründung des deutschen Reiches (1871) hatte das Entwicklungsgeschehen ein so atemberaubendes Tempo angenommen, dass viele kleine und traditionsbwusste Unternehmer, die damit nicht Schritt zu halten vermochten, keine Chance mehr hatten. Dass um die Wende zum 20. Jahrhundert die gesamte Vielfalt märkischer Orgelbauwerkstätten in der Provinz Brandenburg bis auf drei große Unternehmen fast restlos verschwunden war, zeigt deutlich, dass nicht persönliche Unfähigkeit, sondern nur ein übergreifendes Geschehen Ursache gewesen sein kann, welches nicht zuletzt sowohl mit dem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land als auch mit der neuen und alten Produktionsweise zu tun hatte. Nachdem 1916 und 1918 die Gebrüder Dinse verstorben waren, gab es nur noch zwei große Firmen (Sauer und Schuke), welche die wenigen kleineren Werkstätten lange Zeit konkurrenzlos überragten. Zugleich sehen wir, wie auch Aufträge an namhafte Orgelbauer außerhalb der Provinz Brandenburg vergeben wurden. Erst mit der Trennung der Gebrüder Hans-Joachim und Karl Schuke (1950) - der eine eigene „Berliner Orgelbauwerkstatt GmbH“ in Zehlendorf gründete - und durch die zunehmende Profilierung der Mitteldeutschen Orgelbauanstalt (Bad Liebenwerda) kamen neue Farben hinzu, welche die regionale Firmenlandschaft wieder anreicherten. Diese Tendenz scheint mit dem Vollzug der deutschen Einheit (1990) einen neuen Impuls bekommen zu haben, während gleichzeitig die gegenseitige grenzüberschreitende Durchdringung und (mitunter kooperative) Internationalisierung des Orgelbaus zunimmt. Neben diesen Erscheinungen ist das 20. Jahrhundert von einer großartigen Entwicklung der Restaurierungs- und Rekonstruktionspraxis gekennzeichnet, um die sich nicht zuletzt auch Orgelbaufirmen des Landes Brandenburg in maßstabsetzender Weise verdient gemacht haben. Aber wir haben es auch mit einem Jahrhundert der Orgelwissenschaft zu tun, in dem wie nie zuvor Quellen- und Substanzforschung getrieben wurde, ohne deren Ergebnisse das Niveau heutiger Praxis undenkbar wäre.