Einleitung


Die heutigen Verwaltungsgrenzen des Landkreises Oder-Spree und der kreisfreien Stadt Frankfurt/Oder gingen in Folge der Kreisgebietsreform 1993 aus der Zusammenlegung der ehemaligen Kreise Beeskow, Eisenhüttenstadt, Fürstenwalde, Storkow sowie der kreisfreien Stadt Eisenhüttenstadt hervor. Diese wiederum waren vorher alle in den 1952 gegründeten Bezirk Frankfurt/Oder integriert. Vor 1952 ging das Gebiet weitgehend in den Landkreisen Beeskow-Storkow, Lebus, Guben und Lübben auf.

 

Die Mark Brandenburg hat - nachdem sie schon 1356 erstmals als Kurfürstentum (Kurmark) in Erscheinung getreten war - einschließlich der Alt- und Neumark als verwaltungspolitische Einheit bestanden, bis sie auf Grund zunehmender Ausdehnung 1815 eine verwaltungsstrukturelle Neugliederung erfuhr, aus der die Provinz Brandenburg hervorging, welche nun ohne die Altmark aus den Regierungsbezirken Potsdam und Frankfurt an der Oder bestand und die gesamte Niederlausitz enthielt. Der Neumark gehörte u.a. das Gebiet des 1815/16 gegründeten Kreises Lebus an, während das Land Beeskow-Storkow, ursprünglich Besitz sächsischer Adliger, 1575 an Kurbrandenburg ging.

 

Das heutige Gebiet des Landkreises wird territorial im Osten von der Oder, im Nordwesten zur Stadtgrenze nach Berlin, im Südwesten durch das südliche Gebiet der Dahme-Heide-Seen begrenzt und politisch von den Landkreisen Märkisch-Oderland, Dahme-Spreewald, Spree-Neisse und der Stadt Berlin umgeben. Die Hauptstadt des Landkreises Oder-Spree ist Beeskow. Frankfurt/Oder wurde als kreisfreie Stadt in das Inventar einbezogen und stellt einen so reichhaltigen Sonderfall der gesamten brandenburgischen, ja deutschen Orgelbaugeschichte dar, dass darauf hier näher eingegangen werden soll.

 

Bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts als Marktsiedlung deutscher Kaufleute erwähnt und 1253 mit dem Stadtrecht versehen, entwickelte sich Frankfurt/Oder schon bald zu einer Hauptdrehscheibe des Ost-West-Handels, von wo aus schon 1311 Schiffe in die Ostsee ausliefen. 1368 trat die Stadt dem Hansebund bei, 1506 kam es zur Gründung der ersten brandenburgischen Universität „Alma mater Viadrina“ und im 17. Jahrhundert zur Einrichtung einer Garnison. 1814/15 wurde Frankfurt Regierungssitz und Hauptstadt des neuen gleichnamigen Regierungsbezirkes, in jenem Jahrhundert aber auch zunehmend gefragte Messestadt und Standort einsetzender Industriealisierung, so dass wir es seit ihrer Gründung mit einem Kontinuum von Anziehungskräften zu tun haben, die zwangsläufig auch ihre Wirkung auf die Welt des Orgelbaus entfalten mussten, zumal es hier nicht nur ein vielfältiges und reiches geistlich-kirchliches Leben und zeitweise hochbedeutende Musikerpersönlichkeiten (Michael Praetorius, C. Ph. E. Bach), sondern auch die entsprechenden Bauten gab, in denen immer wieder angemessene Instrumente gefragt waren. Und so ist es nur natürlich, dass sich gerade hier nicht nur bekannte und unbekannte Orgelbauer um Arbeit bemüht haben, die nunmehr als typisch brandenburgische Meister gelten, sondern auch Künstler auftauchen, die sonst nur selten oder gar nicht in der Mark zu finden sind.

 

Mit der Verleihung des Stadtrechtes fiel quasi der Baubeginn der Marienkirche (sog. Oberkirche) zusammen, die orgelbaugeschichtlich wiederholt im Zentrum des Geschehens stand und eines der ältesten brandenburgischen Instrumente überhaupt beherbergte, dessen Existenz die älteste in der Mark Brandenburg bekannte Überlieferung von 1330 erwähnt. Aus einer Kalkantenrechnung geht hervor, dass die Marienkirche 1507 über eine kleine und eine große Orgel verfügte, wobei letztere 1545/48 einen Eingriff durch LEONHARD FRANCK (damals Berlin, später Frankfurt/O.) und 1585/86 - wahrscheinlich unter dem Einfluss des Marienorganisten MICHAEL PRAETORIUS - eine Umdisponierung erfuhr und am Ende des 17. Jahrhunderts 3 Manuale mit einem Tonumfang von D bis a’’ besaß. (1)

 

1589 erhielt auch die Nicolaikirche (sog. Unterkirche) eine Orgel, welche ihren Platz auf einer Nordempore des Chores bekam und aus einem Oberwerk und Pedal bestand, dessen Tastenumfang von F bis c’ reichte. Im folgenden Jahrhundert wurde ein erweiterndes „Positiv in bemeldetes Corpus“ gesetzt. Mit Corpus ist das Gehäuse gemeint, das „sambt denen Flügeln Blau gemahlet“ war. 1690 tritt der berühmte sächsische Orgelbauer MATTHIAS SCHURIG (a. Schuricht) aus Radeberg in Erscheinung, der die alte Unterkirchenorgel durch ein neues Werk mit der folgenden Dispositionsgestalt ersetzte (zitiert nach Kraßke):

 

Im Manual stehet:     Zahl der Pfeiffen:
         
1. Principal von 4. Fuß. 91.
2. Mixtur 3. Chören. 147.
3. Viol die Gamba 8. Fuß. 49.
4. Große Flöyte 8. Fuß. 49.
5. Sesquialtera 2. Chören. 98.
6. Octave 2. Fuß. 49.
7. Kleyne Flöyte 4. Fuß. 49.
         
Im Pedal:      
         
1. Sub-Baß 16. Fuß. 25.
2. Principal Baß 8. Fuß. 25.
3. Posaunen Baß 16. Fuß. 25.

 

Das Instrument hatte „Zwene Blaß-Bälge / nach itziger Weise von dichten und dauerhafftigen Holtze zubereitet / (...)“ und war „mit einem richtigen Tremulanten versehen / welcher in alle Windladen gehet. (...) Ob nun zwar diese Orgel in keiner grossen Weitläufftigkeit bestehet / so ist sie doch nach der Capacitet der Kirche so proportioniret / oder beqemlich formiret, daß sie die Kirche wohl füllet / und sowohl für sich selbst mit ihren Pfeiffen / als auch mit der Vocal-Stimme eine sonderbahre Anmuthigkeit erwecket.“ (Kraßke)


Ein Jahr nach der Weihe dieses Werkes begann Schurig die alte Orgel der Marienkirche mit einem Instrument zu ersetzen, das 1694 vollendet war, 1695 eingeweiht wurde und wegen seiner besonderen Bauart mit gebrochenen Semitonien (Manuale mit je 60 Tasten) immer wieder Gegenstand musikwissenschaftlicher und instrumentenkundlicher Reflexionen gewesen ist. Das Pedal hatte einen Umfang von C bis e’, enthielt 32 Tasten und auch die Töne „Ces, Des, Fes und Ges“. (2)

 

Matthias Schurig, Frankfurt/Oder, St. Marienkirche, 1691/95

         
Ober-Hauptwerck*     Im Rueck-Wercke  
Principal 8 Fuß   Principal 4 Fuß
Groß Qvinta Dena 16 Fuß   Stillgedackt 8 Fuß
Gemßhorn 8 Fuß   Viol de Gamba 8 Fuß
Salcinal 8 Fuß   Quinta Dena 8 Fuß
Octav 4 Fuß   Fugara 4 Fuß
Spiel-Floet 4 Fuß   Octav 2 Fuß
Traversa 4 Fuß   Sesquialtera 2 Chor
Quinta 3 Fuß   Scharffs 3 Chor
Super Octav 2 Fuß   Trompet 8 Fuß
Sesquialtera 2 Chor   Singend Regal 4 Fuß
Scharffs 3 Chor      
Mixtur 5-6 Chor   (* Disposition nach Kraßke)  
         
Hinten Im Oberwerck     Im Pedal  
Praestant 4 Fuß   Groß Principal-Baß 16 Fuß
Vox humana 8 Fuß   Sub-Baß 16 Fuß
Grobgedackt 8 Fuß   Groß Octaven-Baß 8 Fuß
Octav 2 Fuß   Octaven-Baß 4 Fuß
Spitzfloet 2 Fuß   Mixtur-Baß 4 Fuß
Kleine Quinta 1 1/2 Fuß   Fagot-Baß 16 Fuß
Octaevgen 1 Fuß   Tombon-Baß 16 Fuß
Cymbel 2 Chor   Trompeten-Baß 8 Fuß
Hautbois 8 Fuß   Cornet-Baß 2 Fuß

 

Nachdem 1705/06 der Organist über die schwere Spielbarkeit geklagt, erneut ein schon 1703 von Orgelbauer MICHAEL HENKELMANN aus Thorn (3) erstelltes Mängelverzeichnis eingereicht und um eine Reparatur gebeten hatte, wurde damit JOHANNES ZEIDLER aus dem damals noch sächsischen Kirchhain betraut, dessen am 26.02.1706 verfaßtes „Verzeichnis der jenigen Mängel, bey dem Orgelwercke in der Oberkirche alhier“ erläutert, „wie dieselben könten corrigiret“ werden: „Alles das jenige, so dem Wercke hinderlich und schädlich ist, muß zuvor weggethan und auß dem Wege geräumet werden. Alß:“ 1. Die 4 Sperrventile, „hingegen das HauptCanal um etwas vergrößert werden, damit ein völliger und sufficienter Wind dem Wercke zukommen möge.“ 2. „Alle Abstracten durchgehends, so von schweren eisernen Drathe in die Claviere angehenget sind, müssen verworffen, hingegen höltzerne (von Linden Holtz geschnittene) Abstracten gemachet werden.“ 3. „Die 4. Spünde, so nahe bey denen Blasebälgen, wieder Recht und Billigkeit feste eingebauet sind, müssen außgewächselt, hingegen andere mit eisernen Vorschlägen, und zwar dergestalt eingesetzet werden, dass man selbige im Fall der Noth herauß nehmen, und nach den Ventilen sehen könne.“ 4. Sollen alle 5 Windladen zwecks Kontrolle der Funktionstüchtigkeit der Ventile geöffnet werden. 5. „Drey Stimmen, so gar vom schlechten Klange, und gantz nichts nütze sind, könten verendert, und darauß andere Pfeiffen formiret werden, alß im Oberwerck auß der Traversa ein offen principaloctav 4 fußthon von Zinne. Im Rückwercke, auß der Quintadehna, eine offene quinte 3 fußthon. Im Oberhinterwercke, auß der Spitzflöthe, auch eine offene quinte 3 fußthon, welche Stimmen fein durchdringen, und den Sonum einen guten Theil vermehren werden, zumahln, wenn das Schnitzwerck von dem Bildhauer in etwas mehr außgeschnitten würde, denn sonst die Pfeiffen allzu sehr eingesperret seyn, dass dannenhero der Klang meistentheils in dem Gehäuse verbleibet, und nicht herauß kommen kann.“ 6. Anschließend „kann ein Register nach dem andern vorgenommen, die größeren Pfeiffen angehangen, rein abgestimmet, und also vollends zu Ende gebracht werden. Franckfurth an der Oder den 26. Febr. 1706. Johannes Zeidler orgel macher.“ In einer Nebenbemerkung heißt es dann: „Auch muß nicht allein das Oberwerck, sondern auch das Rückwerck, und Oberhinterwerck, sowohl auch die Seiten Bässe gantz auß einander genommen, das gantze Pfeiffenwerck ausgeputzet, und alles, so viel möglich, zu gutem Klange, und richtiger Einstimmung wieder gebracht werden.“ - Daraufhin wurde am selben Tag (s.o.) zwischen dem „E. Edlen und Hochweisen Rath als Patronen“ und dem „kunsterfahrenen Hn. Johannes Zeidlern, Orgelbauern“ kontrahiert, der laut der „übergebenen Specification befindliche Mängel, an der Orgel“ für 200 Taler „zu corrigieren und eine Koppel zwischen den obersten und untersten Hinterwerck über dem noch zu verfertigen“ hatte (Wilhelm Spieker und - ihm folgend - Martin Rost schreiben den Eingriff David Decker aus Görlitz zu.).

 

Als 1715 abermals eine detailliert ausgeführte Mängelanzeige durch den „Substituten und künfftigen Successorem des hiesigen Organisten H. Lehmann“, Herrn Johann Caspar Hopp erfolgt, wird ein Orgelbauer namens Spieß aus dem nahen Lossow empfohlen, dem wir 17 Jahre später noch einmal begegnen werden. Am 02. Dezember 1725 entsteht ein weiterer „Unter thänigster bericht an Ein Hochedlen und hochweisen Magistrat, den jetzigen Zustandt der Orgel in der Ober Kirche betreffend und wie die angezeigte defecta zu corrigiren auch was es kosten würdte“. Der Verfasser ist Schnitgers ungeliebter, aber nichtsdestoweniger selbstbewusster Schüler JOHANN RÖDER, welcher - 1719 von Joachim Wagner aus Berlin verdrängt - zunehmend nach dem Osten ausweicht. Nach der Besichtigung der Orgel hält er fest, dass „viele hundert Pfeiffen“ nicht ansprechen und „viele andere an Stadt des rechten ein falschen thon von sich höhren laßen (...) Ferner so sindt die 4. blaßbälge nicht mehr in Standt (...) So ist auch überdies der Windt nicht recht nach mathematischer austheilung in dem Wercke geführt, der halben nöthig das die gantze Windtführung, oder die gesambte Canäle cassirt, und solche gantz Neue und auff eine beßere Art abgelegt werden wodurch das Werck als dann eine Schärffe und reinern Klang bekomt“. Zudem will Röder das Werk auseinander „schrauben“ (!) und Durchstecher beseitigen. Auch fordert er Stellschrauben für das Pedal, „damit Mann das Pedal Clavir fein geradt und folgl: in gleicher und geschwindter Ansprache erhaldten kann (...). Wie dann auch die Abstractur zum Hinderwerck gantz geendert, und aus der Schräge in die perpendicular hinein muß gebracht werden (…). Die in den Mittleren Clavir befindl: Coppel, welche das Ober Clavir ziehet, muß so wohl als alle angehenge des Mittleren Clavirs anders ein gerichtet werden, dann sonst der da spielet nicht ein Augenblick vor dem Geheul sicher ist (…)“. Außerdem „Hat Mann vor gut befunden 5. Neue Stimmen in dem Wercke anzufertigen als vor das regal im Rückwerck Vox Hum: 8. in Gleichen im Hinder Werck ein principal 8. item Cymbel 4 fach: und in pedal. Quinta 6. Trompet 4.“ Die Kosten werden auf 500 Taler gesetzt. - 3 Jahre später (1728) äußert sich Röders großer Konkurrent JOACHIM WAGNER - der gerade einen Neubau in Freienwalde vollendet hatte - zur Sache. Interessanterweise tut er es - im Unterschied zu allen (!) anderen Kollegen vor und nach ihm - nicht in Form eines mehr oder weniger vernichtenden Urteils über das Werk, sondern mit der ingeniösen Kraft seiner eigenen Zielstellung, ohne dabei den Kostenaspekt zugunsten des Auftraggebers aus dem Auge zu verlieren. Die Folge ist ein ganz und gar anders geartetes Konzept, das u.a. in einem Umstellungsplan für die vorhandenen Stimmen mündet. Da der Quellenfund innerhalb der Wagner-Forschung einer Sensation gleichkommt, sollen hier nicht nur die unmittelbar sachbezogenen Dokumente, sondern auch die vorausgehenden und nachfolgenden Briefe Wagners folgen, so dass an dieser Stelle erstmals eine komplette Erstveröffentlichung dieses wertvollen Materials greifbar wird. Zugleich wird sich zeigen, dass auch die Briefe Aspekte aus Wagners sachbezogenem Denken enthalten. (4).

 

(Transkriptionen der Autographe s. im Anhang 1)

 

Mit Wagners erstem Brief geht zeitlich eine ausführliche Mängelanzeige des Gubener Organisten Christian Gottlieb Bolle einher, die dieser ebenfalls am 12.02.1728 verfasst, wobei er u.a. ausdrücklich den „exzellenten“ Tremulanten erwähnt. Eine darauffolgende undatierte Notiz erinnert daran, dass es „höchstnöthig, daß selbe (Orgel) angestrichen werde, damit der Wurm das Bild und Schnitzwerck nicht vollends ruinire“, woraus sich diverse Kostenanschläge von Malern und Wagners Vermittlungsbemühungen (s.d. Dokumente) erklären. Am 13.10.1728 meldet Bolle, dass das Werk in der Unterkirche (!) repariert sei und zwei Monate später (am 10. Dezember) teilt er mit, dass die Defekte der Orgel der Unterkirche (!), „welche von Mons: Rödern alß auch Mons: Wagnern Orgelbauern in Berlin, alß auch von mir gezogen worden zu bemeistern (...) durchgehends gehoben (…)“. (5) - Damit ist gesichert, dass sich (nach Zeidler) Röder und Wagner nicht nur an der Marien-Orgel, sondern auch an der Nikolai-Orgel betätigt haben. In welchem Ausmaß das jeweils geschehen ist und inwieweit auch der Görlitzer Meister DAVID DECKER vor Ort oder nur als Mitbewerber beteiligt war, dürfte ohne einen glücklichen Zufallsfund kaum noch zu ermitteln sein.

 

1727/28 kam es jenseits dieser Ereignisse zu einem Neubau in der deutsch-reformierten (ältesten) Kirche Frankfurts, den der bereits erwähnte ANDREAS GOTTLIEB SPIESS ausführte:

         
a) Im Oberwerk      
1) Principal 4 Fuß   Zinn
2) Grobgedackt a 8 Fuß   Holtz
3) Spitzflöthe 4 Fuß   Metall
4) Waldflöthe 2 Fuß   Metall
5) Quinta 3 Fuß   Metall
6) Octava 2 Fuß   Metall
7) Tertia 1 3/4 Fuß   Metall
8) Mixtur 3 fach    
         
b) In der Brust      
1) Quintade 8 Fuß   (tiefe Octave Holtz, sonst Metall)
2) Flue douce 4 Fuß    
3) Rauschquinta  2 fach    
4) Principal 2 Fuß    
         
c) Zur Baßlade      
1) Subbaß 16 Fuß   Dispositin nach dem Kontrakt
2) Posaunen Baß 16 Fuß   (ohne die uneinheitliche
3) Principal Baß 8 Fuß   Interpunktion)
         

Andreas Gottlieb Spieß, Frankfurt/Oder, ref. Kirche, 1727/28. Rekonstruktion eines Zeichnungsfragmentes des Uhrmachers, Orgelbauers und Mechanicus Johann Gottlob Walter (um 1780): Lars Bergelt, Freiberg/Sa.

 

Das mit 340 Talern berechnete Instrument folgte einem alten Positiv (das Spieß für 20 Taler in Zahlung nahm), hatte einen Tremulanten und war mit Manual-, Pedalkoppel sowie 2 Bälgen (9x4 1/2 Fuß) ausgestattet. Der Manualumfang reichte von C, D bis c’’’, der des Pedals von C, D bis c’, wobei die Manualuntertasten aus Buchsbaum und die Obertasten aus Ebenholz „oder wo solches nicht zu bekommen, von schwartzen eichenen Holtz” bestehen sollten. Bezüglich der Metallpfeifen wurde Spieß verpflichtet „vom Ersten Guß eine Probe so wohl vom Englischen als legirten Guth denen Herrn Vorstehern zu extradiren auch gewärtig zu seyn, daß bey der Übergabe des Wercks ein oder andere Pfeiffe entzwey geschnitten und einem zum Gießer übergeben werde zu probiren, da dann H. Orgelmacher die Versprochene Güthe gewähren muß.“ (6)


1743 bittet Organist Bolle Johann Röder erneut, wegen der Unterkirchen-Orgel anzureisen, wobei es zu einem merkwürdigen Wortwechsel zwischen Ratmann Noßcke und Hofrat Thering kommt, der jenem rät: „Bitte aber mit dem Röder sich nicht positive einzulaßen, denn wir wollen den plan heimlich nach Berlin an den Orgel.bauer H. Wagener schicken, ob wir es nicht daselbst nicht wohlfeiler haben können. Laße er sich aber gegen Bollen darum nicht mercken.“ (7) Am 06.06.1748 heißt es dann: „Es käme also darauf an, den sehr berühmten Orgelbauer H. Wagner auß Berlin anhero zu verschreiben, damit Er das parat und fortirt stehende alte Werk in Augenschein nehmen, und hiernechst einen billigen Accord zu Vermehrung desselben machen können.“ (8) Doch Wagner war nicht greifbar und ein Jahr später schon nicht mehr am Leben, weshalb nun JOHANN SEBASTIAN BACH dessen Schüler HEINRICH ANDREAS CONTIUS aus Halle empfahl. Doch auch dieser ließ sich nicht binden, bis man endlich den Sachsen DANIEL TAMM gewinnen konnte, welcher 1754 die alte Orgel mit einem zusätzlichen Manualwerk erweiterte (das zum Hauptwerk wurde), (9) um im Jahr darauf eine zweite Spezifikation für die Reparatur der Marien-Orgel anzufertigen, der zwei weitere - in Frankfurt verfasste - Visitationsberichte des Orgelbauers DANIEL FRIEDRICH NITZSCHKE folgen, dem 1762 eine Reparatur des Werkes übertragen wird. Im Januar 1789 reicht der berühmt-berüchtigte Abt GEORG JOSEPH VOGLER eine Offerte zur völligen Simplifizierung des Werkes ein und bringt es damit - wenn auch erfolglos - erstmals als Ganzes in Gefahr. (10)


Wiederum jenseits dieser Ereignisse vollzieht sich im selben Jahr das vorläufige Ende der erst 61jährigen Spieß-Orgel in der deutsch-reformierten Kirche, die einer 1776/77 für die - 1787 verstorbene - Prinzessin Anna Amalie in Berlin (im Palais in der Wilhelm-Straße) aufgestellten Orgel von ERNST MARX (Berlin) weichen musste, aber 1789/90 von diesem dann in der alten (ersten) Georgenkirche aufgesetzt wurde. Mit der Marx-Orgel besaß Frankfurt nunmehr ein Instrument, das als vollkommenere „Schwester“ der noch existierenden Migendt-Marx-Orgel in der Kirche zur Frohen Botschaft in Berlin-Karlshorst gelten darf, für „anspruchsvollstes konzertantes Musizieren im Kreise von Musikern und Musikliebhabern konzipiert“ (Rost) war und laut Kontrakt ursprünglich die folgende Dispositionsgestalt hatte:

         
Im Iten Manual, C-f'''
      Pfeifenzahl
Principal 8 Fuß   feines englisch Zinn, hell poliert 54
Quinta dena 16 Fuß   feines Metall 54
Bordun (Bass-Diskant-Teilung) 16 Fuß   große Oktave Holz, sonst Metall 54
Violon 8 Fuß   englisch Zinn 54
Viola di Gamba (1) 8 Fuß   englisch Zinn 54
Salicional 8 Fuß   englisch Zinn 54
Rohrflöte 8 Fuß   feines Metall 54
Gedact 8 Fuß   feines Metall 54
Flöte douce (2) 8 Fuß   Ahornholz 54
Octava 4 Fuß   englisch Zinn 54
Quinta 3 Fuß   englisch Zinn  54
Octava 2 Fuß   englisch Zinn  54
Mixtur 2 Fuß, ab 1789 5fach  4 fach   englisch Zinn, repetierend  216
Piffora (3), ab c 2fach besetzt 8 Fuß   große Oktave Holz, sonst Metall 81
         
Im 2ten Manual
       
Principal 4 Fuß   feines englisch Zinn, hell poliert 54
Gedact, lieblich 8 Fuß   große Oktave Holz, sonst Metall 54
Quintatöne 8 Fuß   feines Metall 54
Rohrflöte 4 Fuß   feines Metall 54
Naßat 3 Fuß   feines Metall 54
Octava 2 Fuß   englisch Zinn 54
Waldflöte 2 Fuß   feines Metall 54
Sifflöte 1 Fuß   englisch Zinn  
         
Im Pedal, C-d'        
Violon 16 Fuß   Kiefernholz 27
Sub Baß 16 Fuß   Kiefernholz 27
Posaune 16 Fuß   Holzkörper, Mundstücke Messing 27
Quinta 6 Fuß   von Metall 27
Octava 8 Fuß   englisch Zinn 27
Baß-Floete 8 Fuß   Kiefernholz 27
         
Tremulant, Manualgabelkoppel II/I   (1) ab 1789 Diskant-Cornett 3fach  
Calcantenglocke, 3 Sperrventile   (2) ab 1789 Trompete 8 Fuß  
6 Windladen, 3 Bälge (10 Fuß lang)   (3) ab 1789 im Oberwerk

(Dispositionswiedergabe nach dem Urkontrakt. Materialangaben frei nach dem Kontrakt und Kleine-Roetzel-Nohl.)

 

Merkwürdigerweise wurde das Werk - wahrscheinlich ebenfalls 1789 von Marx - um die damals unzeitgemäßen Pedalstimmen Octave 4’ und Floete 2’ erweitert, ohne dass sich dafür gesicherte Gründe finden. Die Stimmung war ursprünglich auf (den damaligen) „Cammer Ton eingerichtet“, die Temperatur hingegen „auf eine gantz besondere Art, wovon wol viel zu schreiben wäre. Es sind nur drey Quinten die unter sich schweben, die übrigen sind nebst denen Octaven alle rein.“ In seiner ausführlichen Umsetzungsanweisung vom 15. Mai 1789 läßt Marx wissen: „Es hat dieses Orgelwerck 30 Grad Wind, da nun aber Dasselbige vor eine Gemeinde in der Kirche, zum Gebrauch des Gottesdienstes gewiedmet wird, so werden an statt 30 nun 36 Grad Wind gegeben, damit selbiges heller und schärfer klinget. So nun dieses geschehen, so werden alle Pfeiffen schärfer intoniret, und auf reinen Cammer Ton Harmonisch eingestimmet.“ - Dank einer gedruckten, von Marx selbst verfassten (in der Disposition erheblich vom Urkontrakt abweichenden) Beschreibung dieses hochinteressanten Instrumentes sind auch Details der äußeren Gestalt bekannt: „Dieses Werck hat eine Structur oder Gehäuse selbige ist nach der Architectur auf geführet, Auch hat selbige auf beiden Seiten Baß Thürme diese sind von Unten biß Oben anstatt der Seulen mit Palm Bäumen aufgeführet, die Zweige derselben dienen zur Decoration der Baß Pfeiffen, Selbige Structur hat 2 Columnen, wo die Pfeiffen 3 fach über einander stehen, diese sind von einen geflochtenen Lorber Crantz, Bildhauer Arbeit, von Oben bis Unten anstatt der Decoration umgeben; In Mitten wo zweymal Pfeiffen übereinander stehen, ist auf dem Ober Gesimse ein Küssen, auf dieses eine Königliche Croun, und über derselben eine große Gloria, wovon die Stralen derselben an der Dekke über die benannte Croun wegschießen. Unter den beiden Baß Thürmen hängen vom Bildhauer verfertigt 2 Bruststücken, das eine ist der Erfinder von der Ton Kunst, das zweyte soll seyn der Erfinder der Composition. Das Übrige, als Bildhauer-Arbeit, ist alles sehr sauber und fein bearbeitet. das Clavir ist von schwarz Eben Holtz, die Semitonia aber nebst allen Leisten sind von Helfenbein: Die Register=Knöpfe sind von schwarz Eben Holtz, mit Helfenbein ausgelegt, und gehet dieses benante Clavir von C.Cs.D.Ds. biß e’’’ f’’’. Das Pedal ist sauber von Eichen Holtz verfertiget, und gehet von C.Cs.D biß d’.“* (11)

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* Marx hatte bereits 1784 - als die Spieß-Orgel zunächst durch einen Neubau ersetzt werden sollte - mit dem Frankfurter Orgelbauer JOHANN MARZANKE konkurriert, dabei - hauptsächlich aus Kostengründen - aber den Kürzeren gezogen, so daß der plötzliche Tod der Prinzessin gewissermaßen ein Glück für ihn war.

 

1793 taucht anlässlich einer kleineren Reparatur der Name MIETKE auf. Kurz nach der Jahrhundertwende (1803) tritt dann erstmals CARL FRIEDRICH BALTZER in Erscheinung, (12) der - wie schon Johann Marzanke im 18. Jahrhundert - zu den echten einheimischen (Frankfurter) Meistern zählt und jahrzehntelang die Orgel der reformierten Kirche, aber auch andere Instrumente der Stadt zu pflegen hatte, wozu er sich im Oktober 1809 das Vertrauen erringt:

 

„Es hat der hiesige Orgelbauer und Instrumentenmacher Herr Baltzer neuerdings die Orgel in der Marien Kirche, ein vortreffliches, aus lauter zinnernen Pfeifen bestehendes Werk, deßen Mechanismus aber durch den Gebrauch in der Länge der Zeit fast gänzlich destruirt war, ganz uneigennützig in den Haupt Registern auf seine Kosten sehr gut repariert und dadurch zugleich einen Beweiß seiner hinlänglichen Geschicklichkeit zur völligen Instandsetzung des ganzen Wercks an den Tag gelegt, wozu er im nächsten Sommer ebenfalls bereit ist.“ Damit hatte Baltzer den folgenden Auftrag quasi an sich gezogen, weil man sich nun einig darüber war, dass er ihn „mit der größten Sparsamkeit und Uneigennützigkeit, aus lobenswerthem Patriotismus gegen seine Vaterstadt bewirken“ würde. - Doch mit der Zuverlässigkeit der Marienorgel beginnt zunehmend auch ihr Ruhm zu schwinden, so dass deren Organist (Leichsenring) 1817 für eine völlige Umschaffung des Werks plädiert und dafür den Stettiner Orgelbauer GEORG FRIEDRICH GRÜNEBERG & Sohn (August Wilhelm) empfiehlt, dessen Untersuchung vor Ort auf einen Neubauvorschlag hinausläuft. 1820 „ist die Orgel unterdeß völlig zerfallen und der Neubau derselben noch im Laufe dieses Jahres unumgänglich nothwendig.“ Dabei entsteht die Idee, Baltzer und Grüneberg kooperieren zu lassen. Aber es vergehen weitere Jahre, in denen sich auch der Berliner Orgeldisponent FRIEDRICH TSCHOKERT und der Orgelbauer KARL VON KNOBLAUCH aus Halle einstellen, dessen Werk „weit vorzüglicher, stärker u. umfaßender werden“ soll als das von Grüneberg, bis sich (1824) endlich auch FRIEDRICH MARX aus Berlin zu Wort meldet, der auf seinen Neubau in Kolberg (Pommern) verweist, wohin er auch früher schon 2 Werke geliefert habe. (13)

 

1826 - als die Neubaufrage aus Finanzgründen immer noch ungeklärt war - „zerschmetterte der Einsturz des wüsten Thurmes die Balgenkammer und einen Theil der desolaten Orgel“, bis sie zum Pfingstfest ganz verstummte und Teil einer nun anstehenden Erneuerung der ganzen Kirche wird. In jenem Jahr tritt der - zunächst von Carl Friedrich Schinkel empfohlene - Berliner Orgelbauer CARL AUGUST BUCHHOLZ in Erscheinung. Doch die Auftragnehmer bleiben reserviert, weil sie die Sache für zu wichtig halten, als dass man der Empfehlung ohne Prüfung folgen könne. Stattdessen werden zunächst erst der Dessauer Hoforgelbauer CHRISTIAN ADOLPH LUDWIG ZUBERBIER, der Breslauer Meister JOHANN GOTTLIEB BENJAMIN ENGLER und sogar Baltzer aus Frankfurt/Oder favorisiert. Während man auf eine Antwort Zuberbiers wartet und dieser abgesagt, weil er inzwischen vom Herzog mit dem Bau der großen Nicolaikirchen-Orgel in Zerbst beauftragt worden war, gingen mehrere Erkundigungsschreiben über Engler ein, die hier ausschnittweise zitiert werden sollen: „Geliebtester Bruder. Herr Ferdinand Schiller bringt dir diese Zeilen womit ich denselben bestens an dich empfehle. Nach eingezogenen Erkundigungen lebt der beste, dermahlen bekannte Orgelbauer, hier, und heißt Engler. Die Herstellung der Magdalenen-Orgel ist von ihm ausgezeichnet gut besorgt worden u. hat 6700 rl gekostet. Die Dom-Orgel ist von einem anderen Mann gebaut, hat über 30000 rl gekostet, soll aber für diesen Preis schlecht geraten seyn. Vorstehende Auskunft verdanke ich dem Ober Organisten (…) und da derselbe ein tüchtiger Orgelspieler (…) so habe ich keinen Anlaß die Unpartheiligkeit seines Urtheils zu bezweifeln. (…) ALMüller“ (am 10.04. 1827 aus Breslau an seinen Bruder, Oberlandgerichtsrat Müller in Frankfurt/O.). Im darauffolgenden Mai heißt es dann: Für eine „Orgel von einiger Größe, brauche er jedoch mehrere Jahre Zeit, weil die heutzutage nicht mehr belohnende Kunst, gute Orgelbauer-Gesellen so selten gemacht habe, daß man sich allgemein mit Tischlergesellen behelfen müße. Da diese aber nur der gröberen Arbeit gewachsen wären so bliebe der ganze innere Ausbau ihm selbst überlaßen, namentlich diejenige welche auf die schwierige erste Stimmung Bezug habe, weil sich musikalisches Gehör nicht lehren sondern nur fühlen laße. Der Engler ist sonst ein ganz einfacher Handwerksmann wohnhaft auf der Taschenstraße neben dem Kanonen-Gießer Krüger.“ Als sich dann Marien-Organist Leichsenring persönlich von der Qualität der Breslauer Magdalenen-Orgel überzeugt hat, teilt er am 25.06.1827 mit: „Der Orgelbauer Engler in Breslau ist nicht nur in seiner Kunst, sondern auch als Mensch mit seinem altdeutschen geraden Sinne ein sehr achtungswerther Mann. Sein Vater wie auch sein Großvater waren Orgelbauer, letzterer hat zwey berühmte Orgelwerke geliefert; eine in Kloster Grüssau, die andere in der Elisabeth-Kirche zu Breslau. (…) Der Engler ist nicht abgeneigt den hiesigen Neubau zu unternehmen. Leider fand ich ihn krank, und nach der Aussage seines Arztes könne seine Wiederherstellung noch einige Wochen bedürfen, ehe er eine Reise unternehmen könne. Mich beziehend auf die Krankheit des Engler nahm ich zugleich mit dem zweiten Orgelbauer namens Müller, ein Schüler von dem Vater des Engler, Rücksprache, der mich versicherte, daß er auf mehrere Monate mit kleinen Orgelwerken auf dem Lande hinlänglich beschäftiget sey; daher er sich vorläufig auf andere Baue nicht einlassen könne. An seiner großen Orgel in der Dom-Kirche, wie auch in der zu den Elftausend Jungfrauen habe ich auch sehr lobenswerthe Arbeit gefunden. Auch in Neusalz bei der Herrenhüther Gemeinde lebt ein gwißer Orgelbauer Hartig, ein Schüler von den jetzt lebenden Engler, der eine Orgel in Freystadt zur Zufriedenheit repariert haben soll.“* Am 10. Oktober 1827 verfasst Engler in Frankfurt einen Dispositionsentwurf und bekundet, dass er 239 Prospektpfeifen und 34 Rohrwerkschallstücke der alten Orgel für das neue Werk verwenden wolle. (14)

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* Wenige Tage zuvor hatte sich unaufgefordert der Lausitzer JOHANN GOTTFRIED MÜLLER aus Neugersdorf um den Bau und damit zugleich auch seine Kunst beworben: „(...) Ich habe in meiner Gemeinde eine Orgel mit 44 Stimmen u. 3 Manualen gebauet, die schon von manchen Kenner, bewundert worden ist. Auch habe nächst dieser, noch 12 neue Orgeln erbauet, wie meine Attestate rühmlichst bezeugen; allererst im vorigen Jahre, habe allererst eine nach Dresden gebaut, worüber ich aufs beste attestirt worden bin.“

 

Doch die Entscheidung zieht sich hin und als im Herbst 1828 Stadtbaurat Zumpt nach Berlin reist, um dort das persönliche Gespräch mit Schinkel zu suchen, rät ihm dieser, sich wegen der Orgelbaufragen an den zuständigen Musikdirektor August Wilhelm Bach (Berlin) zu wenden, der über „die Persönlichkeiten der Orgelbauer“ äußert, „daß in Rücksicht auf eigne Tüchtigkeit, wohl Buchholz, Engler u. Balzer gleich stehen möchten daß aber Engler durch seine körperliche Constitution sehr behindert werde, daß gerade jetzt er keine Arbeiter habe, u. dass endlich so gut der Orgelbau in Breslau im Ganzen sey, die da (…) befindlichen Metallarbeiter noch mancher Rüge unterworfen wären. Balzers Arbeiten kenne er zu wenig, und wenn er gleich viel Vertrauen zu ihm habe, so könne er doch den Umfang seiner Arbeitsfähigkeit und Uebung nicht vollständig beurtheilen. Dagegen wisse er gewiß daß der g. Buchholz die größte wissenschaftliche Ausbildung, mit fortgesetzter Uebung und der erforderlichen Solidität verbinde, und von ihm ein gutes und dauerhaftes Werk zu erwarten stehe.“ Im Januar des darauffolgenden Jahres (1829) lässt Bach einen befreundeten Frankfurter Stadtverordneten auf feine Weise wissen, dass Buchholz „wohl Beachtung verdiente, und gegen seine (Mit)Bewerber nicht übersehen werden sollte. Jedoch wünschte ich dabei meine Person nicht ins Spiel zu bringen, indem mich dies nur den Zudringlichkeiten der Orgelbauer zu sehr aussetzen würde.“ Wenige Tage später bekommt Bach Gelegenheit, die 3 Anschläge zu revidieren und obwohl Engler Kosten von 12000 Talern, Baltzer 9800, Buchholz nur 7700 Taler kalkuliert und Bach erwartungsgemäß ihm „den Vorzug“ gibt, verkünden die beauftragten Deputierten (am 06.03.1829) überraschend: „daß der Bau der neuen Orgel in der Oberkirche durch den Orgelbauer Herrn Engler in Breslau, nach der von ihm entworfenen Disposition, ausgeführt werde.“* Doch die Freude Englers sollte nur von kurzer Dauer sein, denn schon am 29. April darauf zeigt Baurat Knorr aus Breslau an: „daß der hiesige Orgelbauer Engler - einer der vorzüglichsten Künstler seines Fachs - den 15ten dieses (Monats) in Folge eines heftigen Krampfanfalles gestorben ist.“

 

Nach diesem Ereignis wurde nicht etwa automatisch Buchholz, sondern - wenn auch wiederum erfolglos - ohne Umschweife erneut Zuberbier aus Dessau der Auftrag angetragen. Zur selben Zeit geht die Empfehlung eines Handelsmannes namens Roesler aus dem böhmischen Schoenlinde ein, der den Orgelbauer FRANZ FELLER aus „der Herrschaft Tetschen in Königswalde 2 Stunden von Elbfluß“ mit einem beigelegten Brief empfiehlt: „Uibrigens setzet der Unterzeichnete noch hinzu, dass er seit 12 Jahren, die 14te neue Kirchenorgel in Arbeit hat, und sich der pracktischen Kenntnisse in allen Stücken so vollkommen gemacht, dass er das größte Werk, wie das kleinste im Stande ist, und aus Mangel an Arbeit darf er nicht Schmeicheln, aber meinen Nahmen weiter zu verbreiten, zum Wohl der Männl. Familie, dies ist das Bestreben des Gefertigten (...)“, der auf ein selbst gebautes 32stimmiges Werk in Schoenlinde (Böhmen) verweist. - Erst nach weiteren 1 1/2 Jahren (am 22. Dezember 1830) unterzeichnet CARL AUGUST BUCHHOLZ den Kontrakt, der so lange nicht für ihn gedacht war, nun aber zum Glücksfall wurde und sich auf das folgende Werk bezog: (15)

(* Die umfangreiche Begründung muss aus Rahmengründen hier fort bleiben.)

         
Haupt-Manual II*
(C-g3)   Ober-Manual III
 
Principal 16 Fuß   Principal 8 Fuß
Quintatön 16 Fuß   Bourdon 16 Fuß
Principal 8 Fuß   Salicional 8 Fuß
Gemshorn 8 Fuß   Gedact 8 Fuß
Viola da Gamba 8 Fuß   Quintatön 8 Fuß
Rohrflöte 8 Fuß   Octava 4 Fuß
Nasard 5 1/3 Fuß   Fugara 4 Fuß
Octava 4 Fuß   Rohrflöte 4 Fuß
Spitzflöte 4 Fuß   Nasard 2 2/3 Fuß
Quinta 2 2/3 Fuß   Superoctava 2 Fuß
Superoctava 2 Fuß   Mixtur  5 Chor
Cornet g-g''' 5 Chor   Hautbois  8 Fuß
Scharf 5 Chor      
Cymbel 3 Chor   Pedal (C-d1)
Trompete 8 Fuß   Principal 32 Fuß
      Principal  16 Fuß
Unter-Manual I (1)
    Violone 16 Fuß
Praestant 16 Fuß   Subbaß 16 Fuß
Principal 8 Fuß   Nasard 10 2/3 Fuß
Viola da Gamba 8 Fuß   Principal 8 Fuß
Flauto traverso 8 Fuß   Violone 8 Fuß
Gedact 8 Fuß   Baßflöte 8 Fuß
Octava 4 Fuß   Quinta 5 1/3 Fuß
Viola d' amour 4 Fuß   Octava 4 Fuß
Spitzflöte 2 2/3 Fuß   Mixtur 2 Fuß
Violini 2 Fuß   Contra-Posaune 32 Fuß
Sifflet 1 Fuß   Bombarde 16 Fuß
Progressio harmonica 2-4 fach   Trompete 8 Fuß
Vox angelica (2) 8 Fuß   Clairon 4 Fuß
         

2 Manualgabelkoppeln, 1 Pedalkoppel (3), Tremulant (HW), Schwelltritt (UW), Kalkantenglockenzug,

5 Sperrventileventile, Evacuant, 9 Blasebälge (a 10 x 5 Fuß), 3437 Pfeifen

* Disposition nach C. A. Buchholz und A. W. Bach. (1) Werk im Schwellkasten, (2) durchschlagende Zungen, (3) mit besonderen Ventilen

 

Carl August Buchholz, Frankfurt/Oder, Marienkirche, 1834 (Prospektentwurf: Carl Friedrich Schinkel)

 

Die Disposition folgt (bis auf ein Pedalregister) streng dem vorgegebenen Entwurf August Wilhelm Bachs, während die Prospektgestalt auf Schinkel zurückgeht, in dessen Händen die gesamte Restitution der Kirche lag. Beide hatten den Ort zuvor jeweils mit Buchholz gemeinsam besucht, um mit ihm und dem Organisten Einzelheiten abzusprechen. (16) Mit der Aufstellung des Werkes vom Frühjahr 1834 bis zur Einweihung am 14. Dezember 1834 waren insgesamt 10267 Taler Kosten entstanden, die sich aus 7943 Talern für den Orgelbauer und Ausgaben für Tischler, Bildhauer, Maler und Varia zusammen setzten. (17)

 

1856 ließ sich in Frankfurt/O. Wilhelm Sauer nieder, der den gesamten Orgelbau der Romantik beeinflussen sollte und 1868 die Unterkirchen-Orgel durch sein Opus 125 ersetzte, das besonders durch die von Cavaillé-Coll inspirierten Pedalaliquoten Bedeutung erlangte:

         
Unter-Manual oder Hauptclavier (C-f3)   Oberclavier oder Fernwerk
 
Principal 16 Fuß   Bourdon 16 Fuß
Principal 8 Fuß   Geigenprincipal 8 Fuß
Gedackt 8 Fuß   Gedackt 8 Fuß
Flute harmonique 8 Fuß   Viola da Gamba 8 Fuß
Fugara 8 Fuß   Voix céleste 8 Fuß
Nassard 5 1/3 Fuß   Prästant 4 Fuß
Octave 4 Fuß   Flûte octaviante 4 Fuß
Flauto traverso 4 Fuß   Basson 16 Fuß
Quinte 2 2/3 Fuß   Oboe 8 Fuß
Octave 2 Fuß      
Scharf 5 fach   Pedal  (C-d1)
Cymbel 3 fach   Violon 32 Fuß
Cornett 4 fach   Principal 16 Fuß
Trompete 8 Fuß   Violon 16 Fuß
      Subbaß  16 Fuß
      Principal 8 Fuß
Principal 8 Fuß   Violoncello 8 Fuß
Quintatön 16 Fuß   Baßflöte 8 Fuß
Salicional 8 Fuß   Quinte 5 1/3 Fuß
Rohrflöte 8 Fuß   Octave 4 Fuß
Octave 4 Fuß   Terz 1 1/5 Fuß
Rohrflöte 4 Fuß   Quinte 2 2/3 Fuß
Nassard 2 2/3 Fuß   Septime 2 2/7 Fuß
Octave 2 Fuß   Octave 2 Fuß
Mixtur 4 fach   Posaune 16 Fuß
Basson 8 Fuß   Trompete 8 Fuß

Fußtritte: Koppeln III/I, II/I, I/P, Schweller (Fernwerk) - Calcantenglocke, 2 x Nihil, Evacuant. Mechanische Kegelladen mit Barkerhebeln im Hauptwerk. Fernwerk im Schwellkasten. (18)

 

Wilhelm Sauer, Frankfurt/Oder, ehemalige Nicolai- bzw. Unterkirche (jetzt Konzerthalle), 1868

 

1878/79 bekam Sauer Gelegenheit, die neu erbaute St. Gertraud-Kirche mit seinem - verändert erhaltenen - Opus 248 auszustatten (s. im Inventar) und 1881 durfte er die Marx-Orgel der reformierten Kirche durch das folgende Opus 340 ersetzen:

         
I. Manual (C-f3)   II. Manual
 
Principal (im Prospekt) 8 Fuß   Principal (im Prospekt) 8 Fuß
Bordun 16 Fuß   Bordun 16 Fuß
Gedact 8 Fuß   Rohrflöte 8 Fuß
Flûte harmonique 8 Fuß   Spitzflöte 8 Fuß
Viola da Gamba 8 Fuß   Salicional 8 Fuß
Octave 4 Fuß   Octave 4 Fuß
Rohrflöte 4 Fuß   Flûte octaviante 4 Fuß
Progressio 2 2/3' 3-5 fach   Flautino 2 Fuß
Cornett 8' ab g 4 fach   Mixtur 4 Fuß
Trompete 8 Fuß   Cornett 3 Fuß
         
Pedal
(C-d1)   III. Manual (Schwellwerk)
 
Offenbaß 16 Fuß   Principal 8 Fuß
Subbaß 16 Fuß   Gedact 8 Fuß
Violon 16 Fuß   Aeoline 8 Fuß
Octavbaß 8 Fuß   Voix céleste 8 Fuß
Baßflöte 8 Fuß   Fugara 4 Fuß
Violoncello 8 Fuß   Flauto dolce 4 Fuß
Posaune 16 Fuß   Clarinette 8 Fuß
Trompete 8 Fuß    

Koppeltritte: II/I, III/I, I/P, II/P - Combinationspedal, Rollschweller, Jalousieschweller III (19)

(Das Werk wurde nach dem 2. Weltkrieg aufgegeben.)

 

Diesem mechanischen Kegelladenwerk folgte 1959/60 eine zweimanualige mechanische Schleifladenorgel (Opus 1725) derselben Firma, deren asymmetrischer Prospekt „aus drei nebeneinandergesetzten Gehäusekästen von abnehmender Größe“ (Rost) bestand, aber innerhalb von nur 30 Jahren ein Opfer der Verwahrlosung und diverser Einbrüche wurde. (20) Das Schaffenskontinuum der weltweit agierenden Firma Sauer setzte sich in und um Frankfurt/Oder bis in die Gegenwart hinein ungebrochen fort und gehört seit der Gründung orgelbaulich zweifellos zu den prägenden Kräften dieser Region.

 

Da sich die weitere Orgelbaugeschichte Frankfurts anhand noch erhaltener Instrumente im Inventarteil weiter erschließen lässt, folgt nun der Blick nach Oder-Spree.


Dort waren es zwangsläufig wenige Städte und das Klosterstift Neuzelle, welche die frühe Orgelbaugeschichte des sonst ländlichen Raumes bestimmten. Für die St. Marienkirche in Beeskow ist ein Fund zweier Prinzipalpfeifen mit der Aufschrift „MCCCCXVIII“ (1418) gesichert, die der Entdecker (Friedrich Marx, Berlin) als Pedalpfeifen identifiziert haben will. - 1622 kommt es zu einem Kontraktaufsatz mit dem „Ehrenhaften und kunstreichen H. MARTIN GRABOWen Orgelbauers und Bürgers zu Storkow“, die Orgel instandzusetzen. „Insonderheit soll und will er gantz newe Spanbälge, newe Pedall und Clavier machen (…) auch die Trommeten, Untersatz, Brustregall, und ein Corneth von Metall zurichten, Summa als Windladen, undwaß nur immer daran bawfellig und imperfect, fertigen (…). Was die Blaßbelge anlangen thuen, selbiges will und soll er zu Storkow bey seiner Kost (…) machen (…). Das Werk aber anbelangend soll alhier gemachet werden, darüber er seine freye Kost, nebst einen Gesellen, und eigen Logoment auch Bettlager haben soll, So sollen Ihme auch Kohle, Brennholtz unnd Lichte so viell noth sein wird geschaffen werden (…). Die Zubehörungen an Zinn, Bley, Meßingen Draht, Leim, Leder, Buchsbaum, Kleinschmiedearbeit, unnd was dem allem anhengig, nimpt er (…) von dem seinigen darzu zu schaffen (…)“. Um die Grobschmiede- und Zimmerarbeit aber soll sich Grabow nicht „kehren“, doch sollen ihm die Zimmerleute beim „auff und nieder zubringen“ der groben Stücke zur Hand gehen - „weill Ihme allein damitt zu handtieren zu schwer“ sei - und natürlich auch die Gerüste bauen. Insgesamt soll Grabow dafür 550 Taler in 3 Raten - samt 4-6 Eichenbrettern - vom Stadtrat erhalten und mit aller „seiner Haab und Güter zu Storkow“ für den Fall haften, „do nicht etwaß richtig“ in Ordnung gebracht sein sollte. - 1816 gelingt es dem g. Berliner Orgelbauer FRIEDRICH MARX, sich gegen den Luckenwalder Kollegen JOHANN CHRISTOPH ERHART PINCKERT mit einem Neubau durchzusetzen, der die alte Marienkirchenorgel ersetzte und 1818 nicht ganz anschlagsgetreu eingeweiht wurde, weil Marx das Pedal zusätzlich mit einem Prinzipal 8’ ausgestattet, die Oberwerksmixtur als Cymbel 3fach gestaltet und den Tremulanten im Oberwerk angelegt hatte. - Letzte Zweifel, ob Marx beim Abbau des alten Werkes tatsächlich auf die o.g. Pfeifen von 1418 gestoßen sei, dürften sich durch diese Quelle erledigt haben, da daraus eindeutig hervorgeht, dass Grabow 1622 eine ältere Orgel mit kurzer Oktave vorfand und es sich um einen Umbauvorgang handelte. - Dass Schicksal der Marx-Orgel ist - nachdem in den 1920iger Jahren zunächst schon das Werk vernichtenden Fehlurteilen zum Opfer gefallen war - nichts weniger als außergewöhnlich: Entschloss man sich doch - aus Geldmangel - allen Ernstes, für 5000 Reichsmark die angebotene Kino-Walcker-Orgel des Ufa-Film-Palastes am Berliner Zoo anzukaufen und hinter den alten Marx-Prospekt (s.u.) zu stellen, der samt seines Inhaltes ein Opfer der letzten Kriegstage wurde. (21)

 

(Transkriptionen der Autographe s. im Anhang 2)

Friedrich Marx, Beeskow, St. Marien, 1817/18

 

In Fürstenwalde an der Spree tritt die Orgel erstmals an der Schwelle zum 15. Jahrhundert in Erscheinung, wenn zunächst auch nur in Gesalt einer noch erhaltenen Plastik im Dom. Gesicherte Erkenntnisse gehen in das 16. Jahrhundert zurück, als es 1576 zu einem verheerenden Stadtbrand kam und dabei auch die „Schene Wolerbawete Pfarkirche, mitt Allen Glocken und Orgeln gantz und gar Zu Grunde verbrandt“, weshalb natürlich bald ein neues Instrument nötig war, das „angefangen In diesem 90. Jarr zu bauen und auch glücklich vollentzogen“ 1592, „Orgelbawer ist gewesen Martting Grabow (MARTIN GRABOW) von Berlin.“ Durch Gewitter-Brandfolgen wurde auch dieses Werk zerstört und 1765/72 von einem Monument GOTTLIEB SCHOLTZES ersetzt, der folgendes Urkonzept reduziert ausführte:

                 
Manual (HW) C, D-c3       Oberklavier
     
Principall 16'   engl. Zinn, C-E Holz   Principall 8'   englisch Zinn
Bordun 16'   Metall, Bass Holz   Quinta dena 16'   Metall, Bass Holz
Octave 8'   Pronezinn   Gedackt 8'   Metall, gr. Okt. Holz
Rohr Flöte 8'   Metall   Quintadena 8'   Metall
Salitinall 8'   Probezinn   Octave 4'   Probezinn
Octave 4'   Probezinn   Rohrflöte 4'   Metall
Spitz Flöthe 4'   Probezinn   Fugara 4'   Probezinn
Quinte 3'   Probezinn   Nassat 3'   Metall
Octave 2'   Probezinn   Wald Flöte 2'   Probezinn
Scharff 5f.   Probezinn   Quinte 1 1/2'   Probezinn
Cimbel 3f.   Probezinn   Flagiolett 1'   Probezinn
Cornett 5f.   Probezinn   Mixtur 1' 4f.   Probezinn
Fagott  16'   Probezinn   Vox humana (g-c''')  8'   Probezinn
Trompete 8'   Probezinn (Diskant)          
      Metall (Bass)   Pedal C, D-d1    
      Rohre Messing   Principall     englisch Zinn
Unterklavier
        Groß Unter Satz 32'   Holz
Gedackt 8'   Metall, gr. Okt. Holz   Violon 16'   Holz
Octave 4'   Probezinn   Quinte 12'   Metall, gedeckt
Flöte 4'   Metall   Gemshorn 8'   Probezinn
Rausch Quinte 3'   Metall   Octave 4'   Probezinn
Octave 2'   Probezinn   Mixtur 2' 6f.   Probezinn
Tertie 1 3/5'   Probezinn   Posaune 32'   Holz
Cimbel 1' 3f.   Probezinn   Posaune 16'   Holz, Rohre Metall
Hobois 8'   Probezinn   Trompete 8'   Met. Rohre Messing
      Rohre Messing   Clarain 4'   Probezinn, dito (22)
                 
6 Blasebälge 11 x 5 1/2 Fuß, Chortonstimmung, geplante Gesamtkosten ohne Farbstaffierung: 3721 Taler

Gottlieb Scholtze, Fürstenwalde, Dom, 1765/72 (Foto vor der Gotisierung von 1908/10)

 

1910 musste das Werk einem zeitgemäßen von Wilhelm Sauer weichen (s. im Inventar), der den alten Prospekt beibehielt und es sich - fast 80jährig - nicht nehmen ließ, anlässlich des Einweihungskonzertes noch einmal selbst in Erscheinung zu treten und anschließend das Instrument ausführlich zu erläutern, dessen Existenz durch den 2. Weltkrieg mit der teilweisen Zerstörung des Domes ihr Ende fand. (23) - Neben den genannten gab und gibt es im Dom und anderen Kirchen Fürstenwaldes ältere und neue kleinere Instrumente, die - soweit erhalten - dem Inventarteil vorbehalten sind, der u.a. auch Orgelbauten in Müllrose erwähnt.

 

Wann die Orgelbaugeschichte in Fürstenberg an der Oder (Stadtteil und ursprünglicher Name des heutigen Eisenhüttenstadt) einsetzte, konnte bisher nicht ermittelt werden, aber dank umfangreicher und akribischer Recherchen der Organistin Christiane Görlitz sind wir gut über die Zeit seit dem großen Brand (1603) unterrichtet, bei dem „die ganze Stadt Fürstenberg mit samt der Kirche, Türme, Orgel, Altar und Glocken, (...) fast innerhalb zwei Stunden jämmerlich abgebrannt und zur Asche geworden (...).“ Demzufolge hat also die Kirche bereits im 16. Jahrhundert eine Orgel besessen und weil schon seit 1571 Feuersbrünste belegt sind, ist es denkbar, dass noch ältere Orgeln ein Raub der Flammen wurden. Da es im Sommer 1691 zu einer Auseinandersetzung des Jacob Fischer „Organist zu Fürstenberg“ kontra „Rath und Bürgerschaft“ wegen ausstehender Besoldungsleistungen und dabei zur Erwähnung des Schlüssels „zum positiv“ kam, aber auch Fischer selbst ausschließlich vom „positiv im Fürstenbergischen Gotteshause“ spricht, ist anzunehmen, dass in jener Zeit nur dieses kleine Instrument vorhanden war, welches - nach der eingravierten Jahreszahl im Gehäuse - offenbar 1701 durch eine größere Orgel ersetzt wurde, deren Erbauer bisher unbekannt blieb. Einer fotografischen Überlieferung zufolge handelte es sich ursprünglich um ein zweimanualiges Werk, dessen Rückpositivprospekt 1907/08 - während Wilhelm Sauer ein neues 22stimmiges pneumatisches Kegelladenwerk in das alte Hauptwerkgehäuse stellte - augenscheinlich an den Hauptwerksockel herangezogen und dort angefügt wurde. In der Erinnerung der im 2. Weltkrieg tätigen Organistin (Charlotte Schliebs) war das Gehäuse der 1945 infolge eines Brandes vollständig zerstörten Orgel blau-golden gefasst. Bis die Fürstenberger Stadtkirche eine repräsentative neue Orgel erhielt, sollten noch Jahrzehnte vergehen (Fortsetzung im Inverntarteil). (24)

 

Der Kirchenbau des bereits im 13. Jahrhundert gegründeten Klosters Neuzelle wurde 1330 vollendet und da die Betreiber gelehrte Kulturträger waren, ist hier sehr früh mit der Orgel, aber auch mit ihrer wiederholten Zerstörung zu rechnen, die im 15. Jahrhundert mehrfach durch die Hussiten geschah. Aus der Zeit des 30jährigen Krieges ist ein am 16.05.1632 aufgenommener Bericht über die völlige Plünderung erhalten: „Anfenglich daß Kloster und die Kirche an sich selbst betreffend, seind in der Kirchen die Altäre sambt der (zwischen 1523 und 1532 erbauten) Orgell undt neuen Predigtstuhl übell zerhauen und zugerichtet, die Orgellpfeiffen theilß zerschlagen, theilß gantz hinwegk gebracht“ worden. Danach muss die Konventskirche längere Zeit ohne größere Orgel gewesen sein, vermutlich, weil zunächst das Gebäude selbst alle Kräfte beanspruchte (die vorwiegend aus italienischen Künstlern bestanden), aber auch, weil wirtschaftliche Not dazu zwang, bis mit dem 1703 konfirmierten Abt Conradus, der sich als engagierter und begnadeter Bauherr erwies, eine neue Blütezeit anbrach, die 1704 mit der Errichtung einer prachtvollen Orgel begann. Dieses Werk wurde weithin als Meisterstück der Orgelbaukunst gerühmt, durch den (a. italienisch beeinflussten) Görlitzer Meister DAVID DECKER geschaffen und vermutlich erst 1707 ganz vollendet. - Da infolge umfangreicher Grundbesitzerwerbungen im Mittelalter nicht nur das Städtchen Fürstenberg a.d.O., sondern zudem über 30 niederlausitzer und einige brandenburgische Dörfer zum Kloster gehörten, hat es in dieser Region auch im ländlichen Raum mehrfach schon vergleichsweise frühe Orgelbauten gegeben. (25)

 

Mit der wachsenden Auftragslage bildete sich im 18. und 19. Jahrhundert zunehmend ein - z.T. autodidaktischer - Regionalorgelbau heraus, der hauptsächlich die Nachfrage von Dorfkirchen befriedigte. In diesem Bereich haben u.a. besonders Namen wie Richter (Storkow), Spieß (Lossow), Gast (Bahro, Fürstenberg/O.), Zeidler, Leiniger (Lichtenberg), Nitzschke, Kegel, Marzanke, Schulz (Frankfurt/O.), Teschner (Fürstenwalde), Landow (Müllrose, Wriezen), Weber (Beeskow) und Uibe bzw. Uebe (Neuzelle) eine Rolle gespielt. - Zugleich hatten durch alle Jahrhunderte hindurch namhafte Meister aus dem nahen Berlin ihren Anteil daran, der sich besonders im 19. Jahrhundert geltend machte (siehe im Inventar).

 

Da die Region Oder-Spree zum strategischen Schutzgürtel Berlins und deshalb am Ende des 2. Weltkriegs zu den besonders hart umkämpften Gebieten gehörte, waren natürlich auch die substantiellen Verluste sehr groß, so dass gerade der Anteil wertvoller alter Orgeln erheblich dezimiert wurde. Nichtsdestoweniger ist der Landkreis heute von orgelbaulicher Vielfalt geprägt und mit außerordentlich wertvollen Besonderheiten durchsetzt, aber auch alte und neue Heimat von Orgelbauwerkstätten geworden, welche ihre Arbeit auf höchstem Niveau in den Dienst einer wunderbar klingenden Sache zu stellen vermögen. Wünschen wir uns, dass auch dieser Band einen Beitrag dazu leisten möge, dass Bewusstsein für jene Sache so aufzuschließen, dass daraus immer wieder neue Kräfte wachsen können, die hier erfassten Schätze dauerhaft in ein lebendiges Kulturleben zu integrieren.

Wolf Bergelt

(Transkriptionen der Wagner-Autugraphe: Anhang 1, Transkriptionen der Marx-Autpgraphe: Anhang 2)


Quellen und Anmerkungen:

1

 

  Spieker, Christian Wilhelm: Beschreibung und Geschichte der Marien- oder Oberkirche zu Frankfurt an der Oder, Frankfurt/Oder 1835

2

 

  Kraßke, Tobias: Kurtze Beschreibung der Neuen Orgel / Bey der Ober-Kirchen zu Franckfurt an der Oder (…), Frankfurt/Oder 1695
3   wie Anmerkung 1
4   StA Frankfurt/Oder: BA I - XVIII Nr. 29
5   wie Anmerkung 4
6   - KgA Frankfurt/Oder: Akte Nr. R 108
    - Rost, Martin: Orgeln in Frankfurt/Oder, Berlin 1994
7   StA Frankfurt/Oder: BA I - XXV 19
8   wie Anmerkung 4
9   wie Anmerkung 6 Quelle 2
10   wie Anmerkung 4
11   - KgAFf/O. Akte Nr. R 119 + Akte Nr. R 108
    - Bullmann, Franz: Die rheinischen Orgelbauer Kleine-Roetzel-Nohl, in: Schriften zur Musik, Bd. 7, 1974
12   wie Anmerkung 6 Quelle 2 (Mietke war Orgelbauer in Berlin und wegen seiner begehrten Cembali berühmt)
13   StA Frankfurt/Oder: BA I - XV 27
14   StA Frankfurt/Oder: BA I - XV 28
15   StA Frankfurt/Oder: BA I - XV 29
16   wie Anmerkung 15
17   wie Anmerkung 1
18   Falkenberg, Hans-Joachim: Der Orgelbauer Wilhelm Sauer 1831-1916, Lauffen 1990
19   wie Anmerkung 18
20   wie Anmerkung 6 Quelle 2
21   - BLHA Potsdam: Rep. 8 Beeskow 862
    - BLHA Potsdam: Rep. 3 B II Reg. Frankfurt/Oder 38
    - Alward, Matthias: Die Orgeln der St. Marien-Kirche zu Beeskow (Sonderdruck), Beeskow, 1990 (nach den Orgelakten der St. Marienkirche und des Ephoralarchivs)
22   - KA Oder-Spree: Fürstenwalde Stadt, Aktennummern 85, 114 und 624
    - BLHA Potsdam: Rep. 2 Städte, Fürstenwalde 4880
23   - DA Fürstenwalde: Orgelakte
    - wie Anmerkung 18
24   - StA Eisenhüttenstadt: Magistratsakten, Aktennummern M 54 und M 68
    - Görlitz, Christiane, in: Auferstanden - Festschrift zur Wiedereinweihung (…), Jacobsdorf, 1999
25   - GStA Berlin-Dahlem: Pr. Br. Rep. 17, Tit. VIII, Nr. 1, Vol. I
    - Töpler, Winfried: Zistenzienserabtei Neuzelle in der Niederlausitz, Königstein/Taunus 1996
    - wie Anmerkung 1

 

Zu Anmerkung 4: Die Quelle wird durch eine weitere Primärquelle, nämlich das Ratsprotokoll II 1705/06 Bd. 2, S. 1211/1212 (StA Frankfurt/O.) gestützt: „Datum den 26. Februarii 1706. (…) ist mit Genehmhaltung des Hn. Inspectoris Hn. Henselii mit deme Orgelbauer Johann Zeidler von Kirchhain aus Sachsen contrahiret worden wegen reparation der Orgel in der Oberkirche, und hat derselbe versprochen, die Orgel nach Anleitung des übergebenen Aufsatzes zu repariren und imstande es damit zu bringen, daß daran kein tadel seyn sollte, und ist zufrieden, daß nach Verfertigung des Wercks solches durch eine verständige person visitiret und wenn so dann etwas daran tadelhaftiges befunden würde, dafür zu stehen, will auch mit einem Eyde zusagen hirbey treulich und aufrichtig sich bezeigen, dahingegen ihme, wenn Er sothanem seinem Versprechen nach nachkombt, die von ihm geforderte 200 Thlr. gereichet auch die Materialien, so er hierzu nöthig hat gegeben werden und ihm hierüber ein schriftliches Contract sub sigillo Civitatis ausgestellet werden solle.“